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  • Die heiligen Rehe von Nara

    Ein Sikahirsch

    Die Stadt Nara befindet sich im Süden der japanischen Hauptinsel Honshu und wird neben etwa 400000 menschlichen Einwohnern auch von rund 1200 Hirschen und Rehen bevölkert. Die Hirsche und Rehe von Nara wecken nicht nur das Interesse vieler Touristen, sondern haben auch für Einheimische ei­nen ganz besonderen Stellenwert. Die Tiere gehören seit Jahrhunderten zum Stadtbild und werden von den Bewohnern Naras als heilig verehrt.

    Ein Blick in die Geschichte

    Um die Gründe für die noch heute andauernde Verehrung der Rehe und Hir­sche von Nara zu verstehen, muss man tausende Jahre in der japanischen Geschichte zurückgehen. Nara war einst eine wichtige Residenzstadt und die bedeutende Adelsfamilie Fujiwara besaß dort einen Schrein für Ahnen­ver­eh­rung. Der noch heute existierende Schrein trägt den Namen Kasuga Taisha, ist aber besser bekannt unter der Bezeichnung Kasuga-Schrein. Wie für ei­nen heiligen Schrein üblich, ließ auch die Familie Fujiwara den ihren von Gottheiten beschützen. Eine Besonderheit der Gottheiten des Kasuga-Schreins ist, dass sie auf Hirschen reiten. Dass Götter mit verschiedenen Tieren in Verbindung gebracht wurden, war in vielen frühen Kulturen gängig und dass im Fall des Kasuga-Schreins Hirsche gewählt wurden, ist laut tausend Jahre alten Legenden kein Zufall. Für die Familie Fujiwara hatten Hirsche und Rehe einen hohen Wert, diese Tiere standen unter ihrem besonderen Schutz und durften im angrenzenden Wald von nie­man­dem gejagt werden. So kam es, dass Hirsche und Rehe sich im Umkreis des Fujiwara-Anwesens frei bewegen konnten und ihre natürliche Scheu gegenüber Menschen ablegten.

    Manche betrachten die Sichtweise, dass sich diese doch eher ungewöhnliche Mensch-Tier-Beziehung aus den Anfangszeiten Naras bis heute erhalten haben soll als eigenartiges, kurioses Phänomen, das kaum möglich scheint. Tatsache ist jedoch, dass die Rehe und Hirsche bis heute mitten unter den Menschen der Stadt leben und sich wohl zu fühlen scheinen. Wie und wann genau sie den Weg dorthin fanden, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr rekonstruieren – Anhaltspunkte können nur den überlieferten Legenden entnommen werden.

    Vorkommen, Anzahl, Verbreitung

    Sikahirsche im Nara Park

    Wie viele Hirsche und Rehe im Umkreis der Familie Fujiwara anzutreffen wa­ren, ist nicht überliefert. Da die Tiere nicht gejagt werden durften, ist an­zu­neh­men, dass sie sich mit der Zeit stark vermehrten. Heute beläuft sich die Zahl der in Nara lebenden Hirsche und Rehe auf 1200. Interessant ist die Tat­sa­che, dass der Bestand relativ konstant bleibt, ohne dass Tiere durch Men­schen­hand erlegt oder sterilisiert werden. Dass manche Tiere aufgrund des Straßenverkehrs getötet werden, lässt sich nicht vermeiden, aber dies ist im Zuge der Bestanderhaltung kein einschneidender Faktor. In Nara entsteht jedenfalls der Eindruck, dass die Tiere ihren Bestand selbst bestmöglich regulieren und den Eingriff von Menschen dazu überhaupt nicht brauchen.

    Bevorzugter Lebensraum der Rehe und Hirsche ist noch heute der Wald nahe dem Kasuga-Schrein, man begegnet ihnen aber auch an allen Plätzen und Straßen im Stadtgebiet Naras. Die Tiere sind außergewöhnlich zutrau­lich, mischen sich unter die Menschen und lassen sich mit Reisgebäck füttern, das extra für sie gebacken wird.

    In Nara findet man kaum Tiere mit mächtigen Hirschgeweihen, da alle Geweihe einmal im Jahr gekürzt werden. Dies geschieht im Rahmen eines großen Festes, das im Kasuga-Schrein stattfindet. Durch diese Praxis ist die Verletzungsgefahr für die Menschen äußerst gering.

    Biologische Faktoren: Nahrung, Lebensraum, Fortpflanzung

    Die in Nara als heilige Rehe und Hirsche bezeichneten Tiere gehören zu den Sikahirschen. Sikahirsche stammen ursprünglich aus dem ostasiatischen Raum, sind mittlerweile aber an vielen Plätzen der Welt anzutreffen. Jene Tiere, die sich nicht wie in Nara von eigens für sie gebackenen Keksen ernähren, bevorzugen Blätter, Früchte, Beeren, Triebe und Knospen. Den in Feucht­gebieten ansässigen Tieren dienen auch Wasserpflanzen und Schilfhalme als wertvolle Nahrungsmittel.

    Der männliche Sikahirsch verbringt den Großteil des Jahres als Einzelgänger, Weibchen schließen sich hingegen gemeinsam mit Jungtieren zu kleineren Rudeln zusammen. Im Herbst schaffen sich die Männchen Reviere, die sie mit etwa zwölf Weibchen teilen. Dringt ein anderes Männchen in ihr Gebiet ein, wehren sie sich mit kämpferischen Mitteln, wobei es häufig zu Verletzun­gen kommt.

    Sikahirsche wurden in viele Regionen der Welt eingeführt, insbesondere in jene Gebiete, in denen Rothirsche nicht überlebens­fähig sind. Sikahirsche gehören zu den anpassungsfähigsten Hirscharten und sind ein begehrtes Jagdwild. Ihr bevorzugter Lebensraum sind Wälder mit dichtem Unterholz. Allerdings kommen sie auch in Sumpf- und Feuchtgebieten sowie Grasland­schaften vor. Da sie gute Schwimmer sind, sind sie manchmal sogar in Küstenlandschaften anzutreffen, wo sie sich vor ihren Feinden ins Wasser flüchten.

    Ein Rudel SikahirscheHirsche bei der Futtersuche
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